17. Februar 2022

Der erste Schritt

Eigentlich machte mir meine Arbeit immer Spaß. Und es ging mir auch wirklich gut. Ich hatte meine Freiheiten, die finanzielle Sicherheit, geregelte Arbeitszeiten, nette Kollegen. Doch irgendwas fehlte. Ich war müde von dem immer gleichen Trott, den immer gleichen Mustern, die mir unter Kollegen, Vorgesetzten und Dritten auffielen. Mir war langweilig. Und dann kam endlich der Urlaub. Gott sei Dank.

Raus an die See. Danach sieht die Welt sicher wieder anders aus. Der Gedanke der Kündigung ist schon länger im Kopf. Es gibt auch eine Alternative. Aber leider keine konkrete. Aussagen wie „Man kündigt ja nicht einfach so.“ oder „Ich verstehe dich, aber in dieser Zeit kann man ja nicht einfach so kündigen.“ begleiten mich, seit ich das Thema zum ersten Mal ansprach. Sicher wäre es nicht das schlauste, was man tun kann, ganz rational betrachtet. Aber in meinem Kopf spitzt sich die Situation zu. Mein Urlaub fällt immer in den September. Dann sind die meisten Veranstaltungen erledigt, bevor zum Jahresende noch zwei weitere folgen. Ich kann mich erholen von dem anstrengenden Sommer. Aber in diesem Jahr ist es anders. Ich kann mich nicht erholen. Ich bin erschöpft. Und müde. Am dritten Tag des Urlaubs liege ich bis nachmittags im Bett und kann mich kaum aufraffen. Ich will nicht mehr. Schon gar nicht kann ich mir vorstellen, nach dem Urlaub an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Obwohl ich immer gerne zur Arbeit gegangen bin, ist es plötzlich eine Horrorvorstellung, für mich dorthin zurück zu müssen. Völlige Leere in mir. Der Urlaub plätschert dahin. Ich versuche mich krampfhaft zu erholen, zu genießen. Aber im Grunde laufen die Tage wie ein Film an mir vorbei.

Der ersehnte, erlösende Anruf, dass es mit der anderen Stelle klappt, bleibt aus. In einem noch schlechteren Zustand als vor dem Urlaub gehe ich nach drei Wochen Urlaub zurück zur Arbeit und arbeitete lustlos mein Zeug runter. Immer mehr delegiere ich und versuche so wenig Eigeninitiative aufzubringen wie nötig. Vielleicht erledigt sich das ganze doch noch von alleine. Fehlanzeige …

Doch in den folgenden Tagen passieren Dinge. Menschen kommen in mein Leben, die mir plötzlich Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegenbringen. Menschen, die an mich glauben. Und eine selbstlos daher gesagte Aussage wie „Warum kündigst du denn nicht? Du findest sofort was Neues.“ löst plötzlich den Knoten in meinem Kopf. Einen Tag später steht mein Entschluss fest: Ich kündige! Ohne was Neues, ohne Perspektive, ohne Plan, aber mit ganz viel Mut. Und nachdem ich diesen Schritt vollzogen habe, ahne ich nicht, was folgen würde in meinem Leben.

Plötzlich rumpelt es ganz gewaltig. Auf allen Ebenen. In mir brodelt und arbeitet es. Und von einem auf den anderen Tag fliegt der Korken und ich habe mein ganzes Leben auf links gedreht. Die fehlende Unterstützung zu Hause, die Perspektivlosigkeit in Ehe und Privatleben haben einen derartigen Vulkanausbruch hervorgerufen, dass ich innerhalb von einer Woche meine Beziehung als gescheitert betrachte und meinem Mann offenbare auszuziehen.

Natürlich streiten wir viel, es fliegen Worte und Fetzen und Gefühle. Es zermürbt uns beide. Auf der einen Seite vollkommenes Unverständnis darüber, was auf einmal los ist, wo wir doch am Abend zuvor noch so nett ausgegangen sind. Und auf der anderen Seite der unwiderrufliche Entschluss zu gehen, ohne dafür konkrete Argumente zu haben. Ich kann es nicht erklären. Ich kann nur fühlen, dass der Moment jetzt gekommen ist. Tränen über Tränen fließen. Blanke Verzweiflung, Angst, Wut und Schmerz mischen sich zu einem explosiven Cocktail. Zu schlaflosen Nächten, zu Krankschreibungen und Tagen ohne fester Nahrung. Ich selbst verlasse mein Bett ungefähr drei Tage nicht und bin kurz davor durchzudrehen.

Innerhalb von einer Woche suche ich eine Wohnung, unterschreibe den Mietvertrag und plane den Auszug. Wobei man von Planen eigentlich nicht sprechen kann. Mein Mann akzeptiert meine Entscheidung nicht und versucht mich bis zum letzten Tag davon abzuhalten. Am Donnerstagmorgen ist der Auszug, am Mittwochnachmittag habe ich noch keine Kiste gepackt. Es ist weniger ein Auszug, es fühlt sich an wie eine Flucht.

Ich raffe meine persönlichen Sachen zusammen. Nehme jedes Teil in die Hand und überlege kurz, ob ich es wirklich brauche. Am Ende lasse ich sogar Dinge zurück, weil ich sie einfach nicht mehr tragen kann. Es ist gerade mal meine Kleidung, persönliche Dokumente, Bücher und einige andere Dinge, die ich in der Kürze der Zeit zusammengesucht habe. Ich habe viel zurückgelassen. Aber ich habe jetzt eben auch nur noch die Sachen, die mir wirklich wichtig sind. Blumenvasen? Das 100. Teelicht? Deko? Nichts von dem hatte Platz in meinen Kisten.

Dinge verlieren an Wert. Viel Zeug zu haben, macht nicht glücklich. Und so passt alles in drei Wagenladungen. Es ist Ballast, den ich abwerfe. Und das ist ein erster guter Schritt!

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