Die Reise war unglaublich lang. Ein Jahr hat es gedauert, bis ich nun das Ziel vor Augen habe. Gefühle in mir überschlagen sich. Die Freude ist unfassbar groß. Tränen laufen fast pausenlos. Ich bin so erleichtert und so leer. Ich zittere am ganzen Körper. Ich bin so weit gereist. Ich war in 6 Ländern und über 30 Städten. Ich bin tausende Kilometer gefahren. Ich habe so viele Stunden, so viel Kraft und Energie in die Suche nach diesem einen Ort gesteckt. Wo will ich sein, wo ist mein Platz auf diesem Planeten? Was will ich machen? Wer will ich sein? Die Möglichkeiten so groß. So unendlich. So vielfältig. Wo soll ich anfangen, wo soll ich aufhören? Immer getrieben von dem Gefühl, diesen einen Platz doch endlich zu finden.
Ich war in Südfrankreich am Meer, ich war in Österreich in den Bergen, ich war bis in Dänemark und Schweden. Ich habe die halbe Republik bereist, auf der Suche nach diesem einen Ort. Und immer wieder diese Achterbahn der Gefühle. Haltlos, rastlos, ruhelos. Verloren, verlassen, alleine. Getragen, gehalten.
Der Druck zwischendurch so groß. Die Erwartung an mich schien schier unendlich. Immer der Drang mir selbst beweisen zu müssen wie mutig ich bin. Wie stark und wie groß. Ein Neuanfang. Alles hinter mir lassen. Mich freischwimmen von allem, was war. Ein neues Leben aufbauen. Ganz weit weg. Je weiter, desto besser. Das sind lange Zeit meine Gedanken gewesen. Eine neue Stadt, eine neue Umgebung, einen neuen Job. Neue Freunde. Ich habe geglaubt all das braucht es, um glücklich zu werden. Und ich bin diesen Weg stetig und geduldig gegangen. Ich habe viele Bewerbungen geschrieben. Ich hatte viele Gespräche. Immer wieder habe ich mich aufgemacht, bin losgegangen für eine neue Chance. Für eine neue Möglichkeit. Immer auf der Suche nach dem Glück. Nach einem Ort, der meiner ist. Ein Zuhause. Und so oft bin ich zurückgekehrt und habe nichts gefühlt. Bin unsicher. Hoffnungsvoll und dann doch wieder ahnungslos. Die Zeit fließt dahin.
Und dann diese eine große Chance. Diese eine Stelle in den Bergen. Ich will nichts mehr als das. Ich bin mir so sicher. Es sind 800 km bis nach Berchtesgaden. Mit jedem Kilometer, den ich meinem Ziel näher komme, steigt meine Vorfreude. Der erste Blick auf die Berge ist wie heimkommen. Die Berge so hoch und meine Vergangenheit dagegen so klein. Hier kann ich alles hinter mir lassen. Hier ist der Ort, an dem Neues beginnen darf. Die Stelle ein Jackpot. Genau das richtige für mich. Hier sollte nun alles klappen. Als ich bei strahlendem Sonnenschein am Nachmittag auf den Jenner fahre und in dieses unglaubliche, weiß glitzernde Bergpanorama blicke, da habe ich gespürt, wie meine Seele aufatmet. Die Berge. Die Berge, die mir im letzten Sommer schon so viel zurückgegeben haben. So viel Energie, so viel Zuversicht und Vertrauen.
Zurück zu Hause und das Warten auf eine Rückmeldung. Und dann am Montagnachmittag die E-Mail in meinem Postfach. „Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir uns für Ihren Mitbewerber entschieden haben.“ Immer wieder lese ich diese Zeilen. Ich bin traurig. Ich bin enttäuscht. Und nur einen Moment später so unendlich erleichtert! Diese E-Mail nimmt mir alle meine Last von den Schultern und sie nimmt mir eine Entscheidung ab, die ich mich nie zu treffen getraut hätte. Ich bin plötzlich so dankbar.
So viele Gedanken hatte ich in den letzten Wochen. So viele schlaflose Nächte. Wie stemme ich einen Umzug ans andere Ende der Republik? Alleine. Wie finde ich eine Wohnung in einer Gegend, in der ich mich nicht auskenne? Alleine. Was mache ich, wenn ich krank bin? Alleine. Was mache ich, wenn ich Hilfe brauche und niemanden kenne? Alleine. Was mache ich, wenn ich Heimweh habe und bin alleine? … so weit weg. Wie werde ich mich fühlen, wenn daheim alle beisammen sind und ich nicht da sein kann, weil ich so weit weg bin?
Ich habe all diese Gedanken immer wieder weggeschoben. Ich werde das schon lösen. Schritt für Schritt wird sich alles fügen. Ich bin stark. Ich habe so viel geschafft. Ich werde auch das schaffen.
Ich lese noch einmal die Zeilen dieser E-Mail. Und plötzlich schießt es mir durch den Kopf „Dann kannst du ja jetzt endlich nach Hause.“ … Und diese Absage aus den Bergen ist die stille Erlaubnis in mir, mir endlich einzugestehen, dass es ok ist nach Hause zu wollen. Ich will zurück dahin wo ich herkomme. In meine Heimat. Zu meiner Familie. Mein Zuhause ist der Ort, an dem die wichtigsten Menschen in meinem Leben sind. Da, wo ich getragen und gehalten bin. Da, wo ich immer willkommen bin. Da, wo das Leben einfach ist. Und das Leben darf jetzt auch mal wieder einfach sein!
Ich habe mir immer eingeredet, dass ich mir etwas beweisen muss. Und ich habe mir so vieles bewiesen. Ich kann alleine lange Strecken Autofahren. Ich kann mich alleine in neuen Orten zurechtfinden. Ich kann alleine neue Kontakte knüpfen. Ich kann alleine reisen. Ich kann alles. Alleine. Aber ich muss es nicht. Ich muss nicht alles alleine schaffen. Und ich will es auch nicht mehr. Ich will nicht mehr alleine sein. Ich will einfach nur nach Hause.
Und da stehe ich jetzt wieder vor dem Nichts. Bei null. Wieder am Anfang. Aber etwas ist anders. Ich bin jetzt nicht mehr alleine. Ich kehre an einen Ort zurück, an dem ich mich auskenne. Da wo meine Familie ist, da wo meine Freunde sind. Und alle helfen mir jetzt nach Hause zu kommen.
Meine Erleichterung ist so unendlich groß. Die Aufgaben werden plötzlich so klein. Alles scheint so einfach und so machbar. Und ich wünsche mir so sehr zur Ruhe zu kommen. Anzukommen. Aufzutanken.
Das Jahr war so anstrengend. Es hat mir so viel abverlangt. Doch jetzt wird alles gut. Rückwirkend betrachtet muss ich schmunzeln. Warum durfte ich diesen Weg gehen? Warum so weit? Warum diese Umwege? Warum war das, was am nächsten liegt so weit weg für mich? Warum war es nie eine Option darüber nachzudenken nach Hause zu kommen? Obwohl ich mich so sehr nach einem Zuhause gesehnt habe. Ich habe andere darum beneidet, die Familie in der Nähe zu haben. Spontan beieinander sein zu können. Familie zu leben. Ich wollte das so sehr und habe nie über diese Option nachgedacht.
Das Leben nimmt manchmal komische Wege. Aber ich liebe diese Reise. Das Leben ist immer für dich. Das Universum leitet dich. Das habe ich gelernt. Und ich habe gelernt, darauf zu vertrauen. Und vielleicht ist dieses Jahr das größte Geschenk, was mir je passiert ist … Ich brauchte diese Zeit und ich brauchte diesen Weg. Jedes Abenteuer, jede Reise, jeden Ort, jeden Kilometer Autobahn. All das habe ich gebraucht, um nun in Frieden sagen zu können „Ich habe alles probiert. Ich möchte jetzt nach Hause.“
Diese Reise endet nicht hier. Es ist mal wieder Anfang. Ein Anfang von etwas Neuem. Das Leben hält noch so viel mehr für mich bereit. Ich werde weiter darüber berichten. Denn ich möchte Menschen dazu ermutigen, sich aufzumachen. Neue Wege zu gehen, wenn die alten nicht mehr passen. Mutig zu sein. Die Komfortzone zu verlassen. Sich trauen, Gefühle und Gedanken zuzulassen. Offen zu sein für das Leben. Wir haben nur dieses eine und es wäre so schade unglücklich zu sein, weil es vermeidlich keine Lösung gibt. Es gibt immer einen Weg, es gibt immer eine Lösung. Manchmal ist sie sogar ganz nah. Manchmal ist sie nur eine gute Stunde entfernt …
„Wo bist du denn jetzt zu Hause?“, kommt mir deine Frage in den Kopf. Diese Frage, die mich damals in so eine tiefe Identitätskrise gestürzt hat. Und die Antwort ist jetzt so klar: „Wir sind dein Zuhause. Und alles andere ergibt sich.“ Und meine Mama hat damit so recht … Meine Familie ist mein Zuhause. Und ich freue mich so sehr darauf!