Da ist der Dezember, der letzte Monat im Jahr, die Advents- und Weihnachtszeit. Die schönste Zeit im Jahr. Zum ersten Mal seit vielen Jahren nehme ich endlich wieder dieses besondere Gefühl wahr. Ich habe Zeit, ich habe Ruhe und ich liebe es die Wohnung zu schmücken und es mir gemütlich zu machen. Zum ersten Mal fühle ich echte „Hygge“.
Doch als ich meine Dekokiste vom Schrank hole und auspacke, stelle ich fest, dass sie mir nicht viel Weihnachtsdeko zu bieten hat. Ich bin kurz nach Weihnachten ausgezogen und habe mir beim Wegräumen der Weihnachtssachen zu Hause nur ein paar Teile ausgesucht. „Nur eine Kiste mit Deko, das reicht“, war meine Devise. Als ich jetzt recht erwartungsfroh alle Teile auspacke und vor mir ausbreite, bin ich ernüchtert und ein bisschen traurig. Eigentlich habe ich nur Teile eingepackt, die ich noch nie so richtig mochte und ich denke an die vielen schönen Stücke, die jetzt fehlen. In der Situation, in der ich entscheiden musste, was ich mitnehme und was ich dalasse, war ich wohl noch so überdrüssig von dem ganzen Weihnachtsgetöse. Außerdem war der Platz begrenzt und meine Kraft noch mehr zu tragen erschöpft.
Ich liebte es zu dekorieren und war immer voller Vorfreude auf die Weihnachtszeit. Zu Hause funkelte und glitzerte es in jeder Ecke. Ich bestückte jeden freien Winkel, holte frisches Grün und warf alle Lichterketten an, die wir besaßen. Wir hätten ohne Probleme mit jeder Advents- und Weihnachtsausstellung mithalten können!
Aber etwas Entscheidendes fehlte. Und das war das Gefühl. Das Gefühl von wohliger Wärme, dem Zauber der Weihnacht und von Besinnlichkeit. Das Gefühl von Zweisamkeit.
Getrieben von Arbeit, Stress und vielen Terminen. Getrieben von den immer gleichen Verpflichtungen. Der Weihnachtsmarkt, der mitten in die Adventszeit fiel und mir viel abverlangte, raubte mir quasi jede Besinnlichkeit. Ich mochte auch nicht auf andere Weihnachtsmärkte gehen. Ich hatte weder Zeit noch Ruhe dafür. Dafür liebte ich es, wenn ich im Advent am Sonntagmorgen im Schlafanzug vom Frühstückstisch auf die Couch wechseln konnte und wir zusammen Weihnachtssendungen guckten. Und immer habe ich davon geträumt, einmal selber in dieses besondere Gefühl einzutauchen. Allein zu zweit eine Schlittenfahrt machen, in einer verschneiten Berghütte wohnen, Rentiere streicheln, Glühwein trinken und Feuer machen. Immer blieb es beim Träumen und der Frust überdeckte den Alltag. Die immer gleichen Rituale zu Weihnachten. Der immer gleiche Ablauf der Feiertage. Je näher das Weihnachtsfest kam, umso mehr Widerstand kam in mir auf. Sekt trinken, durchhalten und nett gucken. Das war meine Devise über viele Jahre.
Den Baumschmuck hatte ich komplett zurückgelassen. Ich hatte genug davon. Ich konnte ihn nicht mehr sehen und nicht mehr ertragen. Acht Jahre lang habe ich den immer gleichen Baum geschmückt. Als ich darüber nachdenke, erschrecke ich. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass unser Weihnachtsbaum in jedem Jahr exakt gleich aussah. Der Baum war genauso eingefahren, wie der Rest der Traditionen. In dem Moment schwor ich mir von nun an erstmal, ohne Baum zu leben. Ich mochte es zwar ihn aufzustellen, aber sehr schnell wollte ich ihn auch wieder heraus bugsieren. Er nahm mir Platz und Raum und die Luft zu atmen. Heute weiß ich, dass es nicht der Baum war …
Ich koche mir erstmal einen Tee und verteile dann meine wenigen weihnachtlichen Dekorationsobjekte in der Wohnung. Räume mehrmals alles von rechts nach links und wieder zurück. Und dann erfreue mich an dem wenigen Ballast, den ich mitgenommen habe. In den nächsten Tagen ergänze ich um ein paar wenige Teile, frisches Grün aus dem Wald und einige Lichterketten. Jetzt ist es mein Weihnachtsheim! Nichts erinnert an früher, alles steht in einem völlig neuen Zusammenhang. Es ist gemütlich und es ist meins. Und ich liebe es! Wenn ich mit meinem Tee und Lebkuchen auf dem Sofa sitze und in die Kerzen gucke, dann spüre ich seit langem wieder Frieden. Den Frieden der Weihnacht und den Frieden in mir.
Jedes Teil, dass ich damals eingepackt habe, hatte in diesem Moment für mich eine bestimmte Bedeutung. Einen Wert. Einen Wert, den es zu einem anderen Zeitpunkt vielleicht nicht hatte. Ich habe Dinge zurückgelassen, die ich damals sehr mochte. Vermutlich aus dem Grund, dass an ihnen für mich zu diesem Zeitpunkt zu viele belastende Erinnerungen hingen. Ich wollte mich davon lösen und habe Dinge gewählt, die ich früher nie so recht beachtet habe. Jetzt haben sie aber an großer Bedeutung gewonnen, weil sie jetzt in diesem Moment für mich das Schönste und Wichtigste sind.
Gegenstände und Momente oder auch Menschen haben immer eine bestimmte Bedeutung. Für jeden und zu jeder Zeit. Und es ist ok. Mir bleiben Momente in Erinnerung, die mein Gegenüber lange vergessen hat. Das ist zunächst vielleicht enttäuschend, aber mit etwas Abstand ist es ok. Es ist ja meine Erinnerung. Für mich hatte ein Moment oder ein Gegenstand eine bestimmte Bedeutung. Wichtig ist doch nur, flexibel zu bleiben. Dinge (und auch Menschen) dürfen kommen und gehen. Sie dürfen dich begleiten oder verlassen. Und es ist eine große Hilfe, das zu erkennen und anzunehmen. Es spart dir Ballast auf deiner Reise. Denn es reist sich so viel schöner mit leichtem Gepäck.
Naja und die Sache mit dem Weihnachtsbaum … dieser Plan wurde zunichtegemacht, als ich im Tivoli in Kopenhagen Baumkugeln gekauft habe. Die waren so schön bunt und so besonders, die mussten mit. Und mein Gedanke dazu war zunächst, dass ich die nicht unbedingt an einen Baum hängen muss. Ich könnte sie auch an einen Zweig dekorieren. Das würde sich schon finden.
Als ich im September von meiner Skandinavienreise zurückkam, waren die Weihnachtsplanungen zu Hause fortgeschritten. Mein Papa hat geplant. Und dieser Plan ist großartig! Da es der einzige und letzte Winter hier in meiner Wohnung sein wird, werden meine Eltern an Heiligabend zu Gast sein. Mein Herz tanzt. Und natürlich stelle ich einen Baum auf! In diesem Jahr zieht ein ganz besonderer Weihnachtsbaum bei mir ein. Geschmückt mit Mitbringseln von meinen Reisen und den vielen schönen und schweren Erinnerungen aus diesem Jahr. Es wird anders, aber es wird wunderschön. Und ich freue mich wie ein kleines Kind darauf!
Mein Weihnachtsbaum 2022 war bunt und voller Erinnerungen meiner Reise. Ein Rallyeauto für die Histo Monte, Strohsterne aus Österreich, Zirbenholz aus Südtirol, Julekugler aus Kopenhagen, Äpfel aus dem Alten Land, Kunstwerke meiner Nichte dessen Patentante ich geworden bin. Ich habe unter meinen Baum geschlafen, ich habe Cocktails getrunken und ich habe ihn so sehr geliebt. Stundenlang saß ich da und habe die vielen schönen Erlebnisse und Momente aus diesem Jahr revue passieren lassen.