In einem Gespräch vor ein paar Tagen unterhielten wir uns über Mitarbeiterführung. „Ich führe mein Team mit sehr viel weiblicher Energie und fahre damit extrem gut.“ Mein Interesse ist geweckt. Wie führt man denn mit weiblicher Energie? „Mit Empathie, Emotionen, Einbezug des Teams in den Prozess, der optimalerweise kreativ ist.“ Ich denke zurück an meine Zeit im letzten Job. Mein Fokus lag auf Erledigung der Arbeit. Es war wenig Zeit für Emotionen. „Du weißt nicht genau, wie das geht? Ok, ich mache es eben selber“ … „Deine Mutter ist krank? Das tut mir leid, aber die Arbeit muss halt auch gemacht werden.“ Ich habe geackert, geschleppt, organisiert und mich gekümmert. Ich kann das Leg am Toilettenwagen identifizieren, ich kann Standrohre setzen, ich kann die schweren Teile auf die Bühne hieven und im Büro kann ich auch um kurz vor 12 noch schnell eine pragmatische Lösung für ein Problem finden. Da ist wenig Platz für Plauderei und Emotionen. Und ich bekam Anerkennung dafür! „Was du als Frau hier alles leistest.“ … „Woanders packen Sie aber nicht so an.“ … „Wie du das immer alles schaffst.“ … Das schmeichelt ja irgendwie auch.
Und privat? Da habe ich organisiert, entschieden, die Steuererklärung gemacht, die Bankgeschäfte erledigt und die vielzähligen technischen Probleme gelöst. Außerdem habe ich artig alle Termine abgearbeitet und habe in der Familie immer brav meine Rolle eingenommen. Ich habe funktioniert. Aber gefühlt habe ich wenig.
Weibliche Energie? Fehlanzeige. Ich stehe meinen Mann, wenn immer es nötig ist. Ich habe wenig Kleider getragen. Eigentlich gar nicht. Denn es ist ja praktischer in Jeans und Turnschuhen das Holz in den Keller zu schleppen als im Kleid.
Die Pille nahm ich gut 10 Jahre lang gar nicht. Ich lebte in meinem natürlichen Zyklus und ich quälte mich auch monatliche durch emotionale Tiefs und Schmerzen und fehlende Energie. Ich ging trotzdem arbeiten und ich funktionierte trotzdem jeden Tag. Gelebte Weiblichkeit? Fehlanzeige. Nicht umsonst wirft man mir hin und wieder fehlende Empathie vor. Schwächen sind ungern gesehen. Emotionen ebenso. Gute Laune ist ok, aber Zweifel, emotionale Schwankungen? Bitte nicht.
Ich surfe im Internet und lese ein paar Artikel zum Thema und verstehe nun nach und nach, wie ich aus dem Gleichgewicht geraten bin. Letztlich lebe ich dieses Leben seit vielen, vielen Jahren. Und niemals habe ich infrage gestellt, ob etwas nicht stimmt mit mir. Irgendwie ist es ja auch eine Art von Emanzipation, wenn man als Frau das Holz selber in den Keller tragen und den Papierkram für die Versicherung selber machen kann. Aber wenn ich frei wählen könnte, dann würde ich lieber nicht das Holz tragen, sondern ein schönes Kleid anziehen und wenn man mir den schnöden Zahlenkram abnehmen würde, dann würde ich in der Zeit lieber etwas Kreatives tun.
Das alles hat natürlich auch mit meinem Selbstbild zu tun und mit meiner Selbstliebe. Immerhin war mein Körper dafür geeignet, schwere Dinge zu tragen. Immerhin war er für etwas geeignet … So habe ich es gesehen. Anfang des Jahres habe ich wieder begonnen, die Pille zu nehmen. Aus verschiedenen Gründen. Eigentlich war es hauptsächlich praktisch den natürlichen Lauf meines Körpers zu unterdrücken und kontrollieren zu können. Kontrollieren tun wir ja so gerne alles im Leben. Ich mag es, wenn alles nach Plan und in geregelten Bahnen läuft. Ohne zu merken, was das für meinen Körper und meine Gesundheit bedeutet. Ich versuche mich zu verbinden, meinen Körper anzunehmen und mich als Frau wahrzunehmen und setze mir gleichzeitig mit der Unterdrückung des natürlichen Prozesses genau da Grenzen.
Jahrelang bin ich durch meine Rolle in Beziehung und Job nicht ins Gleichgewicht gekommen, obwohl ich im natürlichen Prozess gelebt habe. Und jetzt, als ich endlich die Möglichkeit bekomme, unterdrücke ich es. Den Zusammenhang habe ich zunächst gar nicht gesehen. Ehrlich gesagt habe ich mir aber zum Zeitpunkt der Einnahme gar keine Gedanken um meine Weiblichkeit gemacht. Zu diesem Zeitpunkt galt es ganz andere Probleme zu lösen.
Heute wird mir alles so klar und ich darf nun wieder lernen mich dem Flow hinzugeben. Weiblichkeit lernen und leben lernen. Meine Konstitution ist durch und durch weiblich. Aber im Wahn von mangelnder Selbstliebe und dem Drang nach körperlicher Perfektion habe ich das nie erkannt. Es nimmt plötzlich so viel Stress und Druck, wenn man erkennt, warum Dinge so sind wie sie sind. Und es ist so erleichternd, einfach durchatmen und darüber lachen zu können, wie man sich manchmal selber den Blick versperrt.
Wenn ich hier so sitze und überlege, was Weiblichkeit für mich bedeutet, dann ist es Folgendes:
- Kleider tragen
- rote Lippen
- lachen, weinen tanzen
- vor allem tanzen
- Chips essen und genießen
- an schlechten Tagen im Bett bleiben
- an guten Tagen über mich hinaus wachsen
- Hingabe
- zuhören und in den Arm nehmen
- von innen strahlen
- unter der Dusche Rotwein trinken
- im Kleid zuschauen wie das Holz in den Keller getragen wird
- mich von meinem Herzen leiten lassen
- Akzeptanz von Speck und Kurven
- Gelassenheit
- Kreativität ausleben
Let your inner glow come into flow!
Vermutlich hänge ich hier sämtlichen Frauenbewegungen und der Emanzipation im Allgemeinen viele Jahre hinterher. Aber jeder erste Schritt beginnt mit der eigenen Erkenntnis. Ich habe viele Jahre gebraucht, um genau das zu verstehen. Wir Frauen müssen nichts und können alles. Und es ist kein Kalenderspruch, der da sagt „Liebe zuerst dich selber, erst dann kann du auch andere lieben.“ Es ist schlicht die Wahrheit. Und ich kann rückwirkend verstehen, warum meine Beziehung nicht funktioniert hat und was das auch mit mir zu tun hat. Ich konnte es lange nicht erklären, weil ich es gar nicht wusste! “You can´t see, what you can´t see.” (Dana Schwandt). Sicher fällt es mir leichter Menschen zu führen, Beziehungen zu leben und Menschen zu lieben, wenn ich vor allem selber ein gleichwertiger Teil davon bin. Und zwar so wie ich bin in meiner schönsten Version. Ich freue mich auf diese Reise!