30. September 2022

Wer bin ich? – Identitätskrise

Wer bin ich? Ja, ich habe einen Namen und Nachnamen und einen Wohnort. Alles steht in meinem Ausweis. Aber da geht es auch schon los. „Wo kommst du denn her?“ – „Aus dem Sauerland.“ Das stimmt sogar, aber näher kann ich es nicht definieren. „Wo bist du denn gerade zu Hause?“ – „Zuhause … ich bin gerade in der Welt zu Hause.“ … Und während ich das so daher sage, wird mir plötzlich klar, dass ich weder weiß, wo mein Zuhause ist, noch kann ich mich mit meinem Namen identifizieren. Mein Zuhause ist weg. Mein Zuhause war mein Mann, unsere Wohnung in Attendorn. Zu Hause war Attendorn, war mein Job. Ich war mit allem seit 13 Jahren zu 100 % verbunden. Ich habe seinen Namen angenommen, weil ich mich mit ihm identifiziert habe. Ich wollte dieses WIR, zu 100 %. Das war immer meine tiefe Überzeugung.

Und dann kommt das Leben und du stellst plötzlich fest, dass all das nicht mehr stimmt. Das hat mich tief erschüttert. Ich habe alles aufgegeben. Meinen Job, meinen Wohnort, meinen Mann, meine ganze Identität. Und jetzt? Als ich Mitte Februar im Einwohnermeldeamt von Finnentrop saß und die Dame mir einen Aufkleber auf die alte Adresse im Personalausweis klebte, war ich froh. Einfach zugeklebt, einfach weg. Das fühlte sich erstmal gut an.

Meine vielen Reisen in diesem Jahr haben mir unglaublich gutgetan. So viele schöne Orte auf der Welt, so viele schöne Fleckchen Erde. Wo würde ich am liebsten sein wollen? Ich kann es nicht genau sagen. Ich habe sie alle genossen und in mir aufgesogen wie ein Schwamm das Wasser. Am liebsten mochte ich gar nicht mehr nach Hause zurück. Meistens endeten die Reisen bei meinen Eltern. Ich verbrachte noch ein paar Tage dort, bevor ich mich dazu durchrang, wieder alleine in meine Wohnung zu fahren. Und als du mir die Frage „Wo bist du denn gerade zuhause?“ stelltest, wusste ich auch warum.

Ich habe kein Zuhause. Ich fühle mich wie auf einem Boot im großen weiten Ozean, nichts drumherum. Nicht mal Land in Sicht. Solange ich unterwegs bin und die Welt entdecken kann, ist alles gut. Doch komme ich wieder zurück, kommt dieses Gefühl. Heimatlos, identitätslos. Wer bin ich noch und wo soll ich mal hin mit mir? In diesen Momenten scheinen mir die Aufgaben so groß, dass sie mich erschlagen. Dieses Gefühl nicht gut genug zu sein und bestimmt nie wieder einen Job zu finden. Dieses Gefühl, den Nachnamen loswerden zu wollen, weil er mich nicht mehr mit sich identifizieren lässt. Dieses Gefühl nicht zu wissen, wo auf der Welt es denn nun am schönsten ist und wo ich leben will. Dieses Gefühl, dass mir plötzlich alles zu viel ist und ich in meinem Boot alleine durch den Ozean treibe.

Und dann ist da meine Mama, die plötzlich sagt „Wir sind dein Zuhause. Und der Rest regelt sich schon.“ Dieses Gefühl, wenn du niemals heimatlos bist, solange du geliebt wirst. Dieses Gefühl von unendlicher Dankbarkeit.

Meine Wohnung ist so schön und ich fühle mich auch sehr wohl hier. Als ich zur Tür hereinkomme, riecht es nach Sicherheit und Zuflucht. Dieser Geruch, als ich das Haus zum ersten Mal betreten habe in meiner Situation als Flüchtige auf der Suche nach Ruhe und Geborgenheit. Meine Wohnung gibt mir Geborgenheit. Und die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Mich zurückzuziehen. Mich zu sortieren, bevor ich die nächsten Schritte gehe.

Zu Hause ist gar kein Ort. Zu Hause ist ein Gefühl. Und vielleicht suche ich gar keinen Ort, sondern ein Gefühl …

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