28. Juni 2025

Lechzeit

Ich sitze hier am letzten Abend meiner Reise und lasse diese Zeilen durch mich fließen. Ich lasse die letzten Tage noch einmal an mir vorbeiziehen. Die Zeit hier war so unglaublich intensiv, heilsam und schön. Seit vielen Jahren – vermutlich zum ersten Mal in meinem Leben – habe ich das Gefühl, dass ich wirklich erholt bin. In mir ist eine tiefe Ruhe, eine Zufriedenheit und eine ganz große Dankbarkeit. 

Zwei Wochen alleine mit mir. Mit meinen Gedanken, mit meinen Gefühlen, mit meinen Erwartungen und mit allem was in dieser Zeit da sein durfte. Tiefe Trauer, großes Glück, Stolz, Demut und vor allem eins: Liebe. So viel Liebe mit mir selbst und meinem Weg. Es war nicht immer einfach, es war vielleicht auch nicht immer richtig. Aber es war vor allem mein Weg. Und ich habe hier nun das Gefühl, dass ich an einer Kreuzung stehe und in eine andere Richtung gehen darf. Das nennt man wohl loslassen. Zurücklassen. Alles was war. Tiefer Frieden zieht in mein System. Der Stress der letzten Jahre verlässt endgültig meine Zellen. Alle Verletzungen, alle Angst, alle Zweifel und all die Unsicherheit sind verschwunden. Als hätte der Lech all das mit sich genommen. 

Sein stetes Rauschen lässt das Innen still werden. Es entsteht ein leerer Raum. Der gefüllt ist mit ganz viel Nichts. Keine Bewertung, keine Erwartung. Hier passiert Heilung auf allen Ebenen. Ich kann plötzlich dasitzen und nichts tun als einfach nur sein. Die Schönheit der Natur dringt tief in mein Sein. Es bleibt kein oberflächliches Anschauen, es wird zu einem Teil von mir. 

Die Reise begann mit einem kleinen Roadtrip nach Rothenburg ob der Tauber und Füssen. Vor allem Rothenburg hat diese eine Bedeutung für mich. War es damals ein Zufluchtsort für mich und mit seinen dicken Mauern – ein Ort, der mich sicher in seine Arme nahm. Doch dieses Gefühl ist nun gegangen. Ich fühle mich eingesperrt. Zu eng die Gassen und zu dick die Mauern. Ich spüre, dass ich diese Sicherheit nicht mehr brauche. Ich bin frei. Und ich lasse nun auch diese Stadt dankbar hinter mir. 

Füssen bringt Kontraste. Holt mich ab von der ersten Minute an. Offen, alternativ. Eine Stadt, die den Weg in die neue Zeit sicher geht und all ihre Besucher zwischen bayerischer Tradition und diesem gewissen Vibe in Balance bringt. Außerdem war hier meine erste Begegnung mit dem Lech. Es war Liebe auf den ersten Blick. Die Farbe ist genauso wie auf allen Fotos, die seit Wochen all meine Screensaver schmücken. Als ich den Lechfall besuche, taucht ein klares Bild in mir auf. Das Bild meiner eigenen Geschichte. Manchmal fließt ein Leben still vor sich hin. Alles fließt in geregelten Bahnen. Alles ist gut. Scheinbar gut. Bis zu diesem Moment, als das stille Wasser plötzlich tosend in den Abgrund rauscht. Alles fällt auseinander. Nichts ist mehr so wie es war. 

Ich spüre Demut und Stolz. Und ich bin dankbar für meinen Mut von damals. Von diesem Tag an habe dieses bestimmte Rauschen im Ohr. Dieses Rauschen ist die schönste Melodie, die ein Fluss spielen kann. 

Und dann… endlich am Ziel. An dem Ort, der so große Erwartungen in mir hegt. Zeit für mich. Zeit für Erholung. Zeit für all meine Gedanken und Visionen. Und plötzlich ist da nichts als Leere in mir. Eine Traurigkeit. Eine Einsamkeit. Zwei Wochen nun bin ich mit mir alleine. Mit meinen Gedanken, mit all meinen Gefühlen, mit all meinen Erlebnissen. Ich halte mich kaum aus und frage mich, ob das hier die richtige Reise für mich ist. 

Mein erster Ausflug geht auf den höchsten Berg des Lechtals. Er stürzt mich rein in alles was geht. Schroffer Fels, sengende Sonne, steile Wege, Abgründe und Ausblicke. Ich fühle ich auf einer Zeitreise. Gefühle brechen auf. Härte, durchhalten, aushalten. Und es wirft in Gedanken weit zurück. Am Abend bin ich geschafft, müde. Mir ist schlecht. Meine Knochen tun mir weh. Die Eindrücke des Tages überrollen mich. Es war eine harte erste Probe. Und die Erkenntnis, dass diese Zeit nun vorbei ist. Ich habe all das hinter mir gelassen. Es ist vorbei. Und ab jetzt komme ich an. An diesem Ort, in dieser Zeit und bei mir selbst. 

Ich muss nichts tun, ich muss nichts beweisen. Ich muss hier nichts leisten. Und ab diesem Moment kehrt diese Ruhe ein. Ich sitze viel und lange. Und ich schaue einfach nur auf die Berge. Und plötzlich stelle ich fest, dass das alles ist, was ich jetzt brauche. Mein System entspannt sich langsam. 

Am nächsten Tag überwinde Grenzen, als ich über die Hängebrücke laufe. Ich besiege Angst und Zweifel. Ich spüre, ich bin getragen und gehalten. Ich bin sicher. Und mit dieser Sicherheit gehe ich durch die kommenden Tage. Ich bin sicher in mir. Ich kann mir vertrauen. Ich sehe im Lech den Fluss des Lebens. 

Es ist so viel einfacher sich dem hinzugeben als ständig zu kämpfen, zu kontrollieren und zu verändern. Es passiert ohnehin alles wie es soll. Ich erkenne diese tiefe Hingabe, Weiblichkeit, Fluss in allem was ist. Es ist ein Tanz mit dem Leben und der eigenen Energie. Es sind Gespräche und Begegnungen, die mich dieser Tage noch tiefer ins Vertrauen bringen. Ins Vertrauen in mich, in meine Fähigkeiten und in meine Visionen. 

Ich muss nicht mehr suchen, nicht mehr hinterfragen. Ich muss nur noch finden. Mit offenen Augen und offenem Herzen dem Leben entgegen gehen und empfangen was es für mich bereithält. 

Und dann ist da noch die Sache mit diesem einen Ort. Es gibt drei Orte im Leben eines Menschen, an denen er sich zuhause fühlt. Zwei habe ich gefunden. Doch wo ist der Dritte? Ich bin schon so lange auf der Suche nach diesem einen Ort. Dem, an dem ich leben möchte. Da, wo ich sein möchte. Dieser Ort, der mich Wurzeln schlagen lässt. Ich dachte vielleicht hätte ich ihn gefunden. Hier im Lechtal. Im Schatten des letzten Wildwasserflusses nördlich der Alpen. Doch ich spüre, dass es noch nicht soweit ist. Verzweiflung drängt sich in meine Gedanken. Doch als ich mit dem Fluss in friedlicher Eintracht gehe merke ich „Ich muss diesen Ort nicht suchen. Er wird mich finden. Eines Tages.“ – Wenn ich mich nur einfach dem Leben hingebe.   

Ich erobere das Tal Tag für Tag. Jedes Stück des Flusses trägt eine andere Form. An manchem Stellen fließt er langsam und still, kaum hörbar. An manchen Stellen rauscht er mit all seiner Kraft dem Lechfall entgegen. Immer wieder bleibe ich stehen und schaue beindruckt aufs Wasser. Ich gehe mit ihm, ich gehe ihm entgegen. Ich fühle mich verbunden in jedem Moment. 

An jenem Morgen, kurz vor Ende der Reise kehrt meine Energie zurück. Eine Energie voller Kraft und Klarheit. Tief verbunden mit der Natur. Wenn man genau hinschaut, dann findet man am Rand des Lechs viele Herzsteine. Hat mein einmal den Blick dafür geöffnet, findet man Liebe in jedem Schritt. Ich hebe einen auf, schaue ihn an und werfe ihn ins Wasser. Ein Stein, der plötzlich Gefühle freisetzt. Es fließen Tränen und kurz danach das Gefühl von völliger Freiheit. Als hätte er nun alle Verschlossenheit mit sich genommen. Loslassen auf den tiefsten Ebenen des Seins. Ich bin sicher, dass das Leben noch viel für mich bereithält. Und diese Sicherheit setzt Kraft und Energie frei. Vorfreude steigt in mir auf. 

Nach diesem Moment spüre ich klar und deutlich „Der Akku ist nun vollständig aufgeladen.“ Meine Zeit hier ist am Ende. Ich bin bereit für die nächsten Schritte und neue Wege. Das Leben darf nun wirken und all die Samen und Intentionen aus der Zeit der Sommersonnenwenden und den lichtvollen Tagen ans Leben bringen. 

Es fließen Tränen durch diese Zeilen. Tränen aus Erleichterung, aus Glück und aus tieferer innerer Zufriedenheit. Ich bin auf diesem Weg. Ich gehe in die richtige Richtung. Ich habe dieses tiefe Vertrauen ins Leben und diese unglaubliche Ruhe in mir. 

Und jetzt freue ich mich auf mein Zuhause!

Danke lieber Lech… 

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